Ein bemerkenswerter Dialog

Szene*:
Eine Frau sitzt etwas verstört und erschöpft im Park einer Anstalt, nachdem sie dort vergeblich den bereits wieder Entlassenen – womöglich ihre neue langersehnte Liebe – gesucht hat. Nicht weit von ihr, ein älterer Mann, Typ ‚weiser Narr‘, von dem nicht klar ist, ob er ein Insasse ist. Er spricht sie auf ihren Zustand an.
Sie, zweifelnd, ob ihr Engagement richtig ist: „Mein Herz sagt ja, aber mein Kopf sagt nein!“
Darauf er: „Und eines Tages sagt der Kopf: ‚Du bist tot! Gut, dass du nicht gelebt hast!'“

Ich musste lachen – Tränen!

* aus der ORF-Produktion ‚Die Ohrfeige‘, 2005

Der Inhalt meiner Arbeit

(Diplomarbeit-Inhalt (pdf))

TEIL I – EINLEITUNG

Prolog

Auswahl des Themas

Zielsetzung und Fragen

Die Arbeit – ein Überblick

TEIL II – EINFÜHRUNG UND ABGRENZUNG DES THEMAS

Nymphoman, sexsüchtig, pervers, unersättlich oder neosexuell?

  • Nymphomanie

Beziehungswelten und Beziehungsmärkte

  • Spätmoderne Beziehungswelten
  • Sexualität in spätmodernen Beziehungswelten
  • Beziehungsmärkte

Die Singlefrau

  • Das Porträt
  • Die Flugbahn der Autonomie

Swingen

  • Vom ‚Wife swapping’ zum ‚Lifestyle’
  • Swingen in Deutschland

TEIL III – METHODEN

Wahl der Forschungsmethode

Allgemeines zur qualitativen Forschung nach KLEINING

  • Die Regeln
  • Die Prinzipien
  • Die Forschungsstrategien

Wahl des Forschungsinstruments

  • Das narrative Interview
  • Das Tiefeninterview
  • Das ‚Persönliche Gespräch’

Darstellung der Methode: Das Persönliche Gespräch als Weg in der psychologischen Forschung nach LANGER

TEIL IV – DURCHFÜHRUNG

Die Gesprächsteilnehmerinnen

Der Gesprächsverlauf

Die Tonbandaufnahmen

Die Transkription

Begleitende Aktionen

Die Bearbeitung der Gespräche – Die Verdichtungen

Die Autorisierung der Gespräche

Die Gesamtauswertung

TEIL V/A – AUSWERTUNGSPHASE I – DIE GESPRÄCHE

Das Gespräch mit Tine

Das Gespräch mit Anna

Das Gespräch mit Lilly

Das Gespräch mit Cora

Das Gespräch mit Iris

Das Gespräch mit Regina

Das Gespräch mit Sandy

Das Gespräch mit Natalia


TEIL V/B – AUSWERTUNGSPHASE II – ERGEBNISSE

TEIL VI – DISKUSSION

Methoden und Gütekriterien

  • Gültigkeit und Zuverlässigkeit der Aussagen
  • Gültigkeit der Auswertungskategorien
  • Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse


Untersuchungsergebnisse

Mögliche Folgeuntersuchungen


TEIL VII – PERSÖNLICHER RÜCKBLICK

GLOSSAR

LITERATUR

Es geht nun mit dem Prolog los.

Eine fiktive Gesprächsrunde mit realen Beiträgen

Katja Thimm (Spiegel-Redakteurin)
Im Swingerclub spielt Liebe keine Rolle.

Michel
Houellebecq (Schriftsteller, 48 J.)
Warum auch? Wenn man Lust hat, mit jemandem zu schlafen, möchte man noch lange nicht mit ihm leben. Das möchte man aber, wenn man jemanden liebt (…) Ein Frauenkörper neben mir im Bett, an den ich gewöhnt bin, lindert meine nächtlichen Einsamkeitsängste. Das ist die größte Macht, die Sex hat: Er nimmt einem die existenzielle Angst vor dem Leben. Zärtlichkeit schafft das genauso wie eine Orgie im Swingerclub. (THIMM, 2000)

Wolfgang Kralicek (Falter-Journalist)
Warum verwechseln so viele Menschen Liebe mit Sex?

Catherine Millet (Schriftstellerin, 54 J.)
Das hat damit zu tun, dass die Sexualität in der Zivilisation seit Urzeiten als etwas Gefährliches, Schlechtes angesehen wird. So hat man der Sexualität eben den Mantel der Liebe umgehängt. Es ist auch heute noch so, dass man glaubt, verliebt zu sein, obwohl es oft nur ein sexueller Impuls ist. Man gibt sich damit selbst eine Entschuldigung. (KRALICEK, 2002)

Gunnar
(Callboy, 24 J.)
Die Frauen, die sich mit mir treffen, behaupten, dass sie nur die körperliche Liebe wollen. Aber das sagen sie nur, weil sie wissen, dass sie von mir gar nichts anderes kriegen können. In Wahrheit wollen sie natürlich mehr. Die Weiber sind irgendwie für diese Puff-Situation nicht geschaffen. Ein Mann kann, glaube ich, vor und nach dem Orgasmus sein Herz „abschalten“ – eine Frau nicht. Und dann bleibt am Ende so ein fader Geschmack im Mund, auch bei mir. Du hast das Gefühl, sie wollte eigentlich doch etwas anderes, als du gegeben hast. (FEUSTEL, 1992)

Lilly (Anwältin, 35 J.)
Wenn ich mit meinem Herz in den Club reingehen würde, dann wäre die Gefahr, mich zu verletzen, sehr, sehr hoch, weil die Wahrscheinlichkeit so gering ist, dass der Mann es will. Ich gehe da mit einem Keuschheitsgürtel um mein Herz rein, versuche es sehr zu trennen. (FAUST, 2005)

Sybille
(Autorin und Kabarettistin, 46 J.)
Und ich muss mir sogar bei einem One-Night-Stand noch vormachen können, ich sei verknallt, sonst geht’s nicht. (KÜRTHY, 2002)

Cora (Bilanzbuchhalterin 43 J.)
Viele gehen in den Swingerclub und sagen, sie trennen Sex von Liebe. Ich gehe in den Club, und für mich ist es auch ein Gefühl, ein Ausdruck von Liebe! Das begrenzt sich auf den Zeitraum, aber nicht auf die Intensität. Das ist ohne Erwartung, aber mit dem Gefühl, dass ich jemand angucke und sage: Schön! So ein inneres Umarmen! (FAUST, 2005)

Anna (Mathematikerin, 44 J.)
Ich bin lange gar nicht gegangen, weil ich immer im Hinterkopf hatte, so ‘n Club ist doch irgendwie was Schlechtes, als wäre das so ein Armutszeugnis: Im freien Leben finde ich niemand, der mit mir ins Bett gehen will, also muss ich in den Club, um mich von so armseligen Gestalten vögeln zu lassen. (FAUST, 2005)

Lilly (Anwältin, 35 J.)
Sex im Club ist wie Knöpfe-Drücken. Man drückt bestimmte Knöpfe, damit bestimmte Gefühle entstehen. Und bei mir ist es so, dass der Partner fast egal ist – fast. (FAUST, 2005)

Jana (Kundenbetreuerin, 27 J.)
Ich habe lange versucht, wie ein Mann zu sein: Sex pur zu genießen, aber niemanden wirklich an mich heran zu lassen. Aber das befriedigt mich jetzt, ehrlich gesagt, nicht mehr hundertprozentig. (KÜRTHY, 2002)

Weib (Bloggerin, Mitte Dreißig)
Bei mir ist es die Erkenntnis, die potentielle, die mich lockt. Ich habe festgestellt, dass ich unheimlich viel dabei über mich selbst, meine Werte und den Sinn des Lebens lernen kann, wenn ich Sexualität bewusst erlebe. Die Lust, beziehungsweise Triebbefriedigung ist ein netter Nebeneffekt. (TWODAY.NET, 2005)

Tine (Vermessungstechnikerin, 54 J.)
Ich kann mich da sehr gut gehen lassen. Ich komme rein in den Club, und alles, was draußen ist, ist für mich vergessen. Ich schalte da total ab. Da kann ich ganz allein entscheiden, was ich mache – und wenn ich den ganzen Abend nur am Tresen sitze und ein Glas Wein trinke. (FAUST, 2005)

Natalia
(Laborleiterin, 47 J.)
Es ist irgendwie ein tolles Gefühl, beguckt zu werden, begehrt zu sein – auch von Leuten, die nur mal so gucken. (FAUST, 2005)

Regina (Textildesignerin, 39 J.)
Die Möglichkeit, es in so einem Club zu tun, wo man darf, aber nicht muss, und gucken kann, auch aussuchen – und vor allen Dingen weiß, dass da auch gleichgesinnte Leute sind – man da nicht auf so einer hirnlosen Suche ist, nur weil die Hormone gerade mal wieder verrückt spielen. Das ist ja eher selten, dass man so einen Sexualkontakt auf freier Wildbahn findet. Sex ohne Verpflichtung – kann schon schön sein. (FAUST, 2005)

Iris (Autorin und Lebensberaterin, 49 J.)
Wenn ich das früher gewusst hätte, hätte ich nicht in einer Disco sitzen müssen oder in Bars oder sehnsuchtsvoll schmachtend zu Hause. (FAUST, 2005)

Sandy (Familienpflegerin, 44 J.)
Ich möchte nicht mit sechzig in einem Schaukelstuhl sitzen und mich fragen, was ich eigentlich erlebt habe. Gerade in meinem Beruf sehe ich oft, dass es – zack – zu Ende ist. (FAUST, 2005)

Annie Sprinkle (Autorin, Künstlerin, ehemaliger Pornostar, 50 J.)
Let there be pleasure on earth and let it begin with me. (BROWN et al., 1995)

Diplomarbeit-Prolog (pdf)


KLICK – Worum geht’s hier eigentlich?

Für neue Leser:
Sie lasen soeben einen Teil aus meiner Diplomarbeit.

Wie ich zu dem Thema kam

Verschlungene Pfade führten wundersam konsequent zu einem, auf den ersten Blick, exotisch anmutenden Diplomarbeitsthema.

Erstmalige Berührung mit dem Thema bekam ich schon vor Jahren durch ein außergewöhnlich offenes Gespräch mit einer eher brav wirkenden, alleinerziehenden Mutter, die sich von einem befreundeten Pastor in einen Swingerclub entführen ließ. Sie stand noch ganz unter dem Eindruck dieses Erlebnisses und schilderte mir diesen Besuch als unerwartet berauschendes Abenteuer und als wertvolles Geschenk.

1992 hatte ich Gelegenheit, ANNIE SPRINKLE kennenzulernen.

*
Annie und Eugenie 2002

ANNIE SPRINKLE, einst ELLEN STEINBERG, Tochter einer Lehrerfamilie aus Philadelphia, begann ihre Sex-Karriere in einem Massagesalon, wirkte in knapp 200 Pornofilmen mit, war politisch engagierte Prostituierte in New York, vielmehr ‚Sex Workerin’, später Multimedia-Künstlerin und auf dem Weg zu ihrer nächsten Entwicklungsstufe als ‚Anya’, gewissermaßen als „heilige Hure“. ANNIE SPRINKLE, berühmt als die Frau, die ihre Brüste Walzer tanzen und das Publikum ihren Gebärmuttermund anschauen ließ, lernte ich auf der Bühne, in Workshops und privat als warmherzige Frau kennen. Ich war über ihren unkonventionellen und bisweilen bizarren Zugang zur Sexualität immer wieder erstaunt und irritiert zugleich. Drei Qualitäten stachen mir vor allem ins Auge: Zum einen der unglaubliche Spaß, den ihr Sex als Spiel bereitet, zum anderen ihre neugierige, forschende Haltung, und nicht zuletzt ihre damit verbundene Spiritualität und Liebe. Inzwischen hat sie ihren Abschluss als Doctor of Philosophy (Ph.D.) in ‚Human Sexuality’ am ‚Institute for Advanced Study of Human Sexuality’ in San Francisco gemacht und vor kurzem ihr erstes Buch als Sexexpertin geschrieben.

Zumindest im Nebenfach studierte ich ebenfalls Sexualwissenschaften. Im ersten Seminar ging es um Perversionen und am Rande um die Frage, ob es auch perverse Frauen gäbe. Denn Perversionen galten als „die Domäne des Mannes“ (REICHE, 1986). LOUISE J. KAPLAN (1991) behauptet in ihrem von Sexualforschern nicht unumstrittenen Buch, dass es sie gibt, allerdings überwiegend in desexualisierter Form. Sie stellt jedoch keine eigenen Fallgeschichten dar. Damals schon auf der Suche nach spannenden Forschungsthemen hatte ich kurz den Gedanken, dass das ein interessanter Untersuchungsgegenstand sein könnte, hielt es freilich im selben Augenblick für ausgeschlossen, da ich nicht Medizin, sondern Psychologie studierte.

Weiterhin auf der Suche nach einem möglichen Diplomarbeitsthema traf ich vermehrt auf Frauen, die immer noch nicht „den Mann fürs Leben“ gefunden hatten, obwohl sie attraktiv, kommunikativ und erfolgreich im Beruf waren. Interessiert begann ich einzelne Frauen anzusprechen, und mir ihre Bereitschaft für ein Interview zu sichern. Als jedoch in einem Seminar die qualitative Studie des französischen Soziologen JEAN-CLAUDE KAUFMANN (2002) zu weiblichen Singles vorgestellt wurde, wurde mir bewusst, dass ich auf diesem Gebiet keine Pionierarbeit mehr leisten kann.

Die Lektüre der Romane ‚Elementarteilchen’ und ‚Plattform’ von MICHEL HOUELLEBECQ und des autobiographischen Romans ‚Das sexuelle Leben der Catherine M.’ von CATHERINE MILLET, die laut Buchkritik vom SPIEGEL „einem Roman von HOUELLEBECQ entsprungen sein könnte“, gab mir den letzten Anstoß für das vorliegende Forschungsthema.

Was sind das für Frauen? Eine Frau wie CATHERINE MILLET, eine Intellektuelle, die äußerlich nicht einmal annähernd dem Vamp-Klischee ähnelt und seit ihrer Defloration mit 18 Jahren überwiegend Gruppensex-Erfahrungen hat. ANNIE SPRINKLE, die sich seit frühester Jugend der Erforschung von Sexualität in vielen Variationen, aus verschiedenen Perspektiven widmet. Die eher brave, unauffällige Mutter, die sich Ungewöhnliches traut. Das Thema war geboren. Mich interessieren solche Frauen. Ich möchte auch ungewöhnlichere Formen der Bedürfnisbefriedigung verstehen. Darüber hinaus interessiere ich mich für weibliche Singles. Was scheint da näher zu liegen, als Frauen zu untersuchen, die alleine in Swingerclubs gehen? Denn aus einer Fernsehreportage über einen Hamburger Swingerclub wusste ich inzwischen: Es gibt sie wirklich!

Den Mut dazu gab mir zuletzt auch die Kulturanthropologin DR. CORINNA RÜCKERT bei einer Podiumsdiskussion. CORINNA RÜCKERT hat als Krönung ihrer Dissertation mit dem Titel ‚Frauenpornografie – Pornografie von Frauen für Frauen’ (2000) sogar einen Pornofilm gedreht. Bis dahin dachte ich nicht im Entferntesten daran, dass auch solche Themen als ernstzunehmende Gegenstände im Rahmen einer Diplomarbeit wissenschaftlich untersucht werden könnten.

Natürlich ist der Forschungsgegenstand keine Tabula rasa, und ich war nicht frei von vagen Vorstellungen und Ideen, und trotz liberaler Haltung auch nicht ganz frei von Vorurteilen: Sind das vielleicht Frauen, die vor allem auf ungewöhnliche Praktiken stehen, auf ‚Gangbang’ etwa? Wenn ja, warum? Oder sind es selbstbewusste Frauen, die sich, wenn sie das Bedürfnis nach Berührung und Sex haben, eher einen Callboy engagieren, weil sie keine Lust haben, sich einen One-Night-Stand in der Diskothek oder Bar anzulachen? Sind das Frauen, die Sex und Liebe bewusst oder notgedrungen trennen? Finden sich dort geheimnisvolle, verruchte Vamps oder die „besseren Hälften“ vielleicht geschiedener Swingerpaare, die zu Hause „sorgsam die Teppichfransen kämmen“, im Club aber nach dem Karnevalsprinzip „von Zeit zu Zeit die Sau rauslassen“? (GREINER, DIE ZEIT, 18/2000). Sollte es tatsächlich die sprichwörtliche, erlebnishungrige Nymphomanin geben, die Männer reihenweise verführt, ohne einen Höhepunkt zu erleben? Oder verkehren da Trendsetterinnen? Könnte ein Clubbesuch bald fast so normal sein wie die Eroberung von Fußballstadien und Bodybuilding-Studios?

Sind es Irrwege oder Umwege, Zwischenlösungen oder einfach Lifestyles, die Frauen in Swingerclubs führen? Können diese Frauen Sex und Liebe wirklich genauso gut trennen, wie das Männer anscheinend können? Ist das vielleicht sogar viel ursprünglicher als die Norm, dass Sexualität und Liebe zusammen gehören? Ein Labyrinth von Fragen.

‚Was sind das für Frauen?’ Der ursprüngliche Arbeitstitel kann ganz unterschiedlich gelesen werden. Je nach Betonung klingt er neugierig und ernsthaft interessiert oder geradezu reißerisch und moralinsauer. Damit hätte ich eher provoziert und kaum eventuelle Befürchtungen der Frauen bedacht, die möglicherweise auftauchen, wenn sie sich nach außen zu der Form ihrer sexuellen Bedürfnisbefriedigung bekennen. Es ist nämlich damit zu rechnen, dass der eine oder andere Leser angesichts dieser Erfahrungswelten Befremden empfindet.

Nun hat die Arbeit einen weniger riskanten Titel erhalten, der „falsche“ Assoziationen möglichst ausschließt:

Als Solofrau im Swingerclub
Gespräche über ungewöhnliche Erfahrungswelten

Der Ausdruck ‚Solofrau’ ist in der Swingerszene gängig und wurde deshalb gewählt, weil nicht alle Frauen, die alleine in einen Club gehen, Singles sind.

Diplomarbeit-Einleitung_Auswahl-des-Themas_Fragen-Ziele_Ueberblick (pdf)

* Das Foto ist sogar nach der oben erwähnten Podiumsdiskussion entstanden.

Der nächste Beitrag gibt einen Überblick über den Aufbau der Arbeit und die Fragen, die mich im Vorfeld bewegten.

Für neue Leser:
Sie lasen soeben einen Teil aus meiner Diplomarbeit.

Was mache ich hier?

Irgendwie fehlt mir noch schon die notwendige Motivation, um potentielle Leser (so sie sich überhaupt hierher verirren) zu unterhalten. Da ich noch nicht mal richtig begonnen habe, kann ich das wohl kaum als Schreib-‚Bloggade‘ bezeichnen.

Ich gehe vielleicht erst einmal in mich, um herauszufinden, was ich hier eigentlich wollte will.

Bis das geklärt ist, versuche ich euch mal mit einem Foto bei Laune zu halten.

Zum Beispiel mit diesem aus dem Urlaub von unserer traumhaften Terrasse aus.

klick to enlarge

Bildungsbiografisches

Meinen Hochschulzugang habe ich ja ohne Abi/Matura auf dem sogenannten dritten Bildungsweg erreicht, nämlich über § 31a des Hamburgischen Hochschulgesetzes, demzufolge es möglich ist – bei entsprechender beruflicher Qualifikation und Erfahrung – über eine Eingangsprüfung, bestehend aus drei schriftlichen Arbeiten und einer mündlichen Prüfung, seine Hochschulreife unter Beweis zu stellen. Mit dem Noten-Ergebnis bewirbt man sich dann wie jeder Abiturient und zu den gleichen Bedingungen um einen Studienplatz.

Diese Prüfung war der Versuch, eine von mir als stigmatisierend empfundene Kerbe in meiner Bildungsbiographie auszuwetzen: Meinen
Schulverweis in der Oberstufe!

Nach der mittleren Reife* durfte ich als gute Schülerin der größenmäßig recht überschaubaren katholischen Mädchen-Realschule (von Franziskanerinnen mit starker Ausrichtung auf musische Fächer, Hauswirtschaft und Sport geführt) – wir nannten sie Sanktus – auf eigenen Wunsch an das öffentliche Gymnasium wechseln.

Leider als einzige in jenem Schuljahr. Nur meine beste Freundin ging parallel auf’s sogenannte „Kochlöffelgymnasium“, ein vielfach belächelter Ausbildungsgang für zukünftige Lehrerinnen und Hauswirtschaftsleiterinnen, oder so. Ich fühlte mich „zu Höherem berufen“.

Die Situation aber, die ich an dieser höheren Bildungsstätte vorfand, hat mich von Anfang an überfordert, ohne dass ich das damals hätte benennen können.

Sie müssen sich vorstellen, dass ich von einer recht beschützenden Schule kam, in der eigentlich jeder jeden, vor allem mich und meine Schwestern kannte, denn mein Vater war Elterbeiratsvorsitzender, ein Posten, den ihm seine Popularität durch einen lustigen Auftritt bei einem Schulfest bescherte.

Nun kam ich also zum ersten Mal in meinem Leben in eine sehr große gemischtgeschlechtliche Klasse, in der ich nur einen einzigen Menschen kannte: Angelika, die Klassenbeste der 11a! Sie wohnte in der Wohnung über uns, war aber schon von Klein auf eine erklärte Feindin. Ich weiß heute nicht mehr weshalb. Aber KEINER mochte sie! Na ja – Kinder eben! Sie war also für mich – sei’s auch nur als Gesprächspartnerin in Schulangelegenheiten – i n d i s k u t a b e l. Dass ich gerade zu dieser Kuh (sorry Angelique) in die Klasse kommen sollte, traf mich völlig unvorbereitet und echt hart.

Und dann die vielen Jungs! Bisher war ich nur im Kindergarten und beim Spielen mit ihresgleichen zusammen. Zuhause war mein Vater der „EINZIGE Junge neben vier Weibern“ – wie er zu sagen pflegte. (Natürlich gab es auch schon Männer in meinem Leben, da ging es allerdings eher um Ero- und Romantik. Und die waren halt auch schon älter!)

Am ersten Schultag also gleich dieser Schock: Die … von oben und diese ungewohnte Menge gleichaltriger Adoleszenter des anderen Geschlechts! Der Klassenlehrer, ein irritierend gutaussehender Mann, hat dann in der ersten Stunde zwar einmal vage in meine Richtung genickt, das war’s dann aber schon. Keine Begrüßung, keine Vorstellung, keine Einführung, kein gar nichts, nicht mal ein Zettel!

Für die verschiedenen Fächer war man dann ständig auf Wanderung in andere Räume. Nicht nur die ersten Tage bis alles rund läuft. Nein – das blieb so! Nirgends konnte ich mich an MEINEM Platz fühlen. In der „Klosterschule“ ging man höchstens 3-5 Mal die Woche für ein zwei Stunden in einen Funktionsraum. Das war’s dann schon mit Abwechslung. Am Gymnasium war es wie an der Uni. Und jedes Fach unterrichtete ein anderer und mir völlig fremder Lehrer. Diese ständige Neuorientierung in ungewohnter Umgebung an ungewohnte Menschen war der totale Stress.

Aber das Allerschlimmste war für mich, dass ich den Anschluss gerade in meinen beiden liebsten Fächern Mathematik und Französisch nicht mehr fand. Die Gymnasiasten waren am Ende der Zehnten einfach schon viel weiter als „wir von den Nonnen“. Weil aber mein Notendurchschnitt recht gut war, ging der Wechsel ohne Aufnahmeprüfung problemlos über die Bühne. (Im Nachhinein muss ich sagen – leider!)

Ich sage nur: Drei über vier gleich vier über drei – klingt doch logisch, oder? Die Beweisführung, dass diese Aussage stimmt, hatten meine Mitschüler beispielsweise schon drauf. Ich hatte überhaupt keinen Zugang mehr zu dieser zunehmend rätselhaft werdenden Oberstufenmathe. Bis ich fast 30 Jahre später zu studieren begann, hatte ich wiederkehrend einen Alptraum: Ich sitze in einer Klausur und verstehe nur Bahnhof – SCHRECKLICH!!!

Was macht man nun in so einer Situation, wenn man sich und anderen nicht eingestehen kann, dass man ein Problem hat? An meine Eltern als Anlaufstelle hätte ich im Traum nicht gedacht. Mein Bildungshunger war denen eh‘ suspekt, und ich rebellierte außerdem heftig gegen sie, wenn auch überwiegend durch ein lügengedecktes Doppelleben (ganz entgegen meiner Wahrheitsliebe – ich fand aber, dass sie selbst daran schuld hätten, würden sie mich nicht so streng bewachen… naja, aber das ist eine andere Geschichte…)

Was macht man also? Man schwänzt – immer öfter – immer länger – und schließlich gaaanz lang. Und fälscht regelmäßig die Unterschrift des Vaters. (Ich kann sie heute noch!) In den ganzen vier Monaten, die dieses Drama anhielt, habe ich keine einzige Klausur mitgeschrieben. Als alles aufflog erhielt ich meine letzten Schläge von Mutterhand und die Gewissheit, dass es jetzt mit dem Ernst des Lebens losgeht.

*Nachtrag Aug. 2012 – Klassenfoto

In meinem Schlafzimmer küssen sich König Ludwig und Marilyn Monroe

Wenige Tage nach einem heftigen Sommergewitter war das Wunder geschehen. Völlig ineinander versunken zeigten sie sich, ohne die geringste Notiz von meiner Anwesenheit zu nehmen – König Ludwig in seiner schicken Ausgehuniform und die Monroe im hellen Nerzcape. Sie ließen sich nicht stören und hingen ungestört dauerküssend aneinander. Offensichtlich war das kein gewöhnlicher Gruß aus dem Jenseits, kein Vergesst-uns-bitte-nicht. Ich war etwas irritiert. Aber sie blieben und logieren nun als Dauergäste in meinem Schlafzimmer.

Bald nach ihrem Einzug erinnerte ich mich an eine Fernsehreportage über ein italienisches Dorf, in dem sich regelmäßig die Muttergottes an Wänden, Böden und Decken zeigte. Inzwischen hat sich der unbedeutende Flecken zu einem florierenden Wallfahrtsort gemausert und die Dorfschaft sahnt ordentlich ab. Das zündete irgendwie. War es die Aussicht auf sagenhafte Nebeneinkünfte oder auf Fernsehauftritte bei Akte X & Co, oder war hier ein wirkliches Wunder geschehen und ICH mit meiner Wohnung als geheimes Liebesnest für Promis jenseits des Jordans auserwählt? Mein Schlafgemach ist schon einladend, aber dass es sogar den Ansprüchen eines Neuschwanstein-Erbauers gerecht wird, ehrt mich.

Ich behielt das Geheimnis erst mal für mich – bis eines Tages ein vertrauenswürdiger Mann in meinem Bett lag. Stolz zeigte ich ihm mein prominentes Liebespaar und war auf einen Aufschrei des Erstaunens oder Entzückens oder was auch immer gefasst. Keine Reaktion, nein, nicht ganz. Genauer gesagt kam ein Häh(!?), dem deutlich anzuhören war, dass erheblich an meinem Geisteszustand gezweifelt wird. Ich war verunsichert und enttäuscht zugleich. Nur ICH konnte die Liebenden also sehen, nix mit Wallfahrtsort und märchenhaften Nebeneinkünften. Obwohl – der Mann (inzwischen MEIN Mann) räumt ein, dass da Räuber Hotzenplotz zu sehen sei. Na dann – kann ja vielleicht noch alles gut werden.

Wie ich zu dem Namen komme

Es ist schon ein paar Jahrzehnte her, da war ich voll im Renovierungs- und Gestaltungsfieber, also in meinem Element (wer mich kennt) und kaum zu bremsen. An den Küchenwänden fehlte mir noch etwas, irgendwie etwas Wohnlicheres. Also auf ins Tapetengeschäft mit einer vagen Vorstellung von einer Tapetenbordüre oder so.

Da stehe ich nun im Maler- und Tapeziergeschäft einer süddeutschen Kleinstadt und wälze ein dickes Tapetenbuch nach dem anderen. Ich bin noch ganz vertieft in die engere Auswahl, als sich neben mir ein Verkäufer aufbaut. Er hat wohl vor, meinen Entscheidungsprozess zu beschleunigen, denn er hält ein Schreibbrett mit Lieferschein vor der Brust und den Kugelschreiber im Anschlag.

Eigentlich habe ich gar nicht vor, so konkret zu werden, schließlich muss ich meine Idee ja noch mit meinem Liebsten abstimmen. Ich lasse mich also nicht beirren – zunächst. Aber warum nicht mal mutig sein, denk ich mir so. Und bevor die Nähe des Angestellten unerträglich wird, sage ich: „Awa, i nähm dia jetzt oifach – auf eugene Fauscht! (Übersetzt: Ach was, ich nehme die jetzt einfach – auf eigene Faust!)

Der Verkäufer schaut etwas irritiert auf die junge Frau vor sich, zückt dann aber sein Brett und schreibt verbal unterstützt:

In Süddeutschland sagt man zu einer Eugenie, schon mal etwas schludrig Eugene. Für mich war das – vor dem Erwerb von Fremdsprachen – einfach ein altmodischer Frauenname aus der Generation der Groß- und Urgroßmutter, nix Judschien oder Öschän und so. ; )

UPDATE Juni 2012:
Inzwischen habe ich mich entschieden, Irritationen vorzubeugen und hier eindeutig weiblich aufzutreten.