22.30 Uhr. Huch, wer klingelt denn jetzt noch? Der A. geht an die Tür. Eine aufgeregte Polizistinnenstimme verlangt, augenblicklich das Gebäude zu verlassen. Unser Quartier müsse sofort evakuiert werden, da in einer halben Stunde mit der Entschärfung zweier Fliegerbomben mitten auf dem Heiligengeistfeld, also in unserer direkten Nachbarschaft, begonnen würde.
Luftlinie
Mir bricht augenblicklich der kalte Schweiß aus, denn mit mir gestaltet sich so etwas nicht so einfach. Außerdem haben wir einen Übernachtungsgast, den es jetzt auch trifft. Ich könnte auf der Stelle losheulen, aber das nutzt ja nichts. Worin genau meine Schwierigkeiten bestehen, mag ich jetzt nicht ausführlich erläutern*.
Zuerst einmal gehen wir ganz optimistisch in eine Kneipe. Um diese Zeit sind wir die einzigen Gäste. Kurz bevor geschlossen wird, rufen wir die Polizei an. Noch keine Entwarnung! Es sieht so aus, als ob wir doch in die Notunterkunft in der Königsschule müssen. Nach der Registrierung begeben wir uns in Richtung Pritschen, vorbei an bereits schnarchenden Kiezbewohnern. Es zieht wie Hechtsuppe. Hier kann ich keinen Augenblick länger bleiben, denn Kälte ist einer meiner größten Stressoren. Also wieder abmelden und die dritte komplizierte Verfrachtung ins Auto. Jetzt müssen wir eben Hotels abklappern, denn zu allem Übel ist auch noch Messe! Beim vierten Hotel in einer abgelegenen Seitenstraße haben wir Glück.
Unser Gast entscheidet sich dafür, im Auto zu schlafen, denn das Doppelzimmer, das sonst 49 € kostet, kostet heute Nacht sage und schreibe 175 Euronen. Aber egal! Ich erfriere sonst. Der A. leistet Schwerstarbeit bis ich endlich in dem nahezu unzugänglichen Nischenbett liege. Unter mir das Gefühl von Luftmatratze mit Seegang und über mir eine tonnenschwere Decke. Ein Albtraum! Ich fühle mich wie ein Stück Blei im Schraubstock auf einer Schiffsplanke gefangen. Aber – es könnte ja schlimmer sein… Ich versuche nicht zu denken und schließe die Augen. Um 3:00 Uhr rufen wir noch einmal auf gut Glück bei der Polizei an. Die Bomben seien inzwischen entschärft, wir könnten jetzt wieder nachhause, was wir auch schleunigst tun…
*Nur soviel – ich habe Pflegestufe II, in meinem Schwerbehindertenausweis befindet sich das Merkzeichen H, und ich habe dieses Jahr erst ein Mal für 2 Stunden in Begleitung das Haus verlassen. Seit damals sind einfach 13 Jahre nicht gerade spurlos vergangen…