Klein-Eugene spielt Frisör

Über uns wohnen Herings mit ihren beiden Sprösslingen Ursel und Peter, in der Dachwohnung Meiers und deren Kinder Bubi und Christel. Neben vielen Nachbarkindern gehen wir alle, sofern katholisch, in den Kindergarten, der in der Baracke am Fluss eingerichtet ist. (Edwin, das Einzelkind, ist mir fast entfallen, wahrscheinlich war er evangelisch.)

In den Ferien spielen wir natürlich den lieben langen Tag ums Haus herum. Bei schlechtem Wetter sind die Kellertreppe, der Fahrradkeller und die Waschküche Spielplatz. Wenn Lausi aus dem Nachbarhaus da ist, muss man als Mädchen sehr auf der Hut sein. Denn dann ist das Spiel „Deckel hoch, der Kaffee kocht“ angesagt. Dabei hält Lausi das Mädchen fest, während Bubi mit dem Spruch ihren Rock hochhebt und die Unterhose Richtung Knöchel reißt. Aber heute streunen sie durch die Gegend und ich spiele mit Christel auf der Kellertreppe ungestört Frisör.

Christel ist jetzt nicht gerade das was man ein bildhübsches Mädchen nennen würde, aber ihr Kopf wird von einer wunderschönen hellblonden Engelslockenpracht geziert, die meist in Form eines üppigen Pferdeschwanzes gebändigt ist. Gekämmt wird heute pantomimisch, denn wir haben keine Bürste. Was ich aber habe, ist eine kleine Papierschere, und Christel ist einverstanden. So schwer ist das gar nicht. Man muss nur feinsäuberlich den Schwanz über dem Zopfhalter absäbeln. Nach getaner Arbeit zeige ich ihr stolz das Resultat. Christel freut sich. Frau Meier nicht.

Sie bekommt einen hysterischen Anfall, schreit Zeter und Mordio und klingelt Sturm. Laut anklagend und Rotz und Wasser heulend wird das Corpus Delicti der ahnungslosen Frau Mama entgegengestreckt. Diese ist nun ihrerseits völlig entsetzt. Nein, diese wundervollen Prachthaare!

Das verbrecherische Tun verlangt natürlich die Höchststrafe: Den Hintern mit dem Teppichklopfer versohlt und ohne Abendessen sofort ab ins Bett! Ich habe Christel nie wieder mit langen Haaren gesehen.

35 Kommentare zu „Klein-Eugene spielt Frisör

    1. ich liebte meine lederhose (wurde ja ohnehin wie ein junge aufgezogen), teppichklopfer und hosenriemen gabs nicht, das machten ja nur die einfachen leute, bei uns gabs maulschellen satt und eckestehen. und die lederhose schützte mich einmal vor argen blauen flecken, als mich ein pferd abwarf.

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  1. Herrliche Geschichte bis auf das mit dem Teppichklopfer. Da muss ich doch auch noch meinen späten Senf dazu abgeben.
    Meine Mutter erzählt gern davon: als ich ca. 3 Jahre alt war, waren wir allein zu Hause. Da ich sonst immer plapperte, fiel meiner Mutter irgendwann auf, daß ich so still war, sie rief mich, und ich antwortete ganz lieb: Ja, und sie fand mich vor ihrem Schminktisch, wie ich gerade mit einer Nagelschere meine süssen, blonden Ringellöckchen abschnippelte. Sie sagte, sie musste furchbar lachen, und vollendete mein Werk, weil ich sonst wie ein gerupftes Huhn ausgesehen hätte.
    Da mir die kurzen Haare wohl recht gut standen, hat sie sie mir (wie schon erwähnt) dann im Sommer immer bubikurz geschnitten und später gelang es mir nie, meine Haare ganz lang wachsen zu lassen, weil sie mich ab einer gewissen Länge immer furchtbar störten.
    So lang, wie ich sie jetzt habe, waren sie noch nie.
    Liebste Grüsse 🙂

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    1. Das erinnert mich an unsere Teufelsbraten-Alexandra. Wenn sie an eine Schere gelangte, was leider immer dann der Fall war, wenn die Haare mal wieder ein paar Zentimeter lang waren, ging es richtig zu Sache. Leider sah sie danach aus, als habe sie die Räude, und außer Glatze war nichts mehr zu machen.

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    1. :-)) im Alter schließt sich dann der Kreis und Man(n) hat von allein eine Glatze. Sie hatten also als Kind, liebe Eugene, so eine gewisse dominante Art sich die Leute zurecht zu stutzen bis sie Ihnen genehm waren 😉

      lieben Gruß in den Tag

      Mukono, gern gelesen

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    2. m.E. ja bei mir ist es so, dass ich z.B. nicht mehr heiß und engagiert jeden Kampf bis zum Ende ausfechten muss, wenn ich denke, dass es eh vergebliche Liebesmüh ist und nur Nerven kosten würde. Und damit sind wir vielleicht schon bei Ihrem Thema der Unduldsamkeit. Die ist zumindest bei mir einer zunehmenden Schwäche, Stress zu verarbeiten, geschuldet.

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  2. Ich war Christel …nun, ich war vielleicht fünf Jahre alt. Besuch bei der Großmaman. Erinnere mich an dunkle, schattenhafte Zimmer. Muffige Teppiche, die Schritte verschluckten, das unheilvolle, zittrige Ticken einer alten Standuhr. In so einem Zimmer war ich abgestellt, wärend die Erwachsenen Wachskabinettös am Kuchentische speisten. Steif. Und verstaubt.

    Ich also abgestellt – mit einem fremden, einem großen, einem sehr großen Mädchen. An ihren Namen erinnere ich mich nicht. Aber an ihre kupferroten, langen, strähnigen Haare, an ihre Sommersprossen, die große, platte Nase und ihren riesigen Mund. Sie schien mir erwachsen. Sicherlich schon acht, oder neun. Wir fanden uns ziemlich doof – auf Anhieb. Daran erinnere ich mich noch. Auch daran, dass wir nicht nach Draußen durften und in dem Zimmer sich nichts dazu eignete, uns zu unterhalten.

    …bis auf eine Schneiderschere, die auf einem kleinen Beistelltisch vergessen lauerte . Die Rothaarige entschied, wir spielen Frisör. Mir war.s gleich, es schien spannender als jede andere sich bietende Alternative. Somit hatte ich herzuhalten. Mit meinem dunklen, wilden, langen Lockenschopf. Sie schnippselte und schnippselte und mich packte die Erregung des Verwegenens, dieses prickelnde Wissen etwas Verbotenes zu tuen. In dem Moment wurden wir fast Freundinnen …

    … hätte die Rothaarige mich nicht ins linke Ohr geschnitten. Vorbei war die Extase und mein Gebrüll lockte die erwachsene Belegschaft heran. Da saß ich nun mit kurzen Schweinekringeln und blutendem Ohr. Als man erkannte, die Verletzung war harmloser Natur, wurde mir von meinem Vater der Hintern versohlt. Aber fragen Sie mich nicht nach Sonnenschein. Die Rothaarige wurde von ihren vErziehern nur gescholten. Ziemlich ungerecht fand ich das. Sie sehen, auch ich hatte eine belastende Kindheit mit traumatischen Erlebnissen. Und auch die Gegenwart ist nicht besser. Das Spiel „Deckel hoch, der Kaffee kocht“ erinnert mich sehr an meine letzte Beziehung.

    Es grüßt Sie beschwingt: die Falkin

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  3. Und überhaupt: ich hatte Haare! Krumme Haare! Wie ein Pudel.
    Das war ein ziemlich taugliches Kindheitsdrama. Dresche haben damals doch alle gekriegt. So krumme Haare wie ich hatte nur ich. Später war ich mal Therapeutin geworden ehe ich mich mit einer vernünftigen, bodenständigen Kunst arbeitslos machte… Ja, so war das mit mir. Äh…, na ja, musste auch mal gesagt sein.

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    1. Nein, ehe sie Schweinepriesterin wurde hat sie eine so KRUMME berufliche Laufbahn hingelegt, dass die krummen Haare irgendwann aufgaben, vermutlich weil sie dieser übermächtigen Konkurrenz nicht mehr gewachsen waren.

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