Sommer vor 50 Jahren

Manche meiner Kindheitserinnerungen sind mit dem richtigen Auslöser sofort präsent. Keine konkreten Episoden, vielmehr so atmosphärische Mehrfachüberblendungen von Ähnlichem. Dazu gehört ein Sommertag im Strandbad. Erinnerungsauslöser sind blauer Himmel, Sonnenschein, Wasserglitzern, eine ganz bestimmte Luft, dezenter Freizeitlärm und vor allem Gerüche.

Damals sind wir erst zu viert: Papa, Mama, meine Schwester und ich. Die Mutter hat am Vorabend schon köstliche Floischkiachla (Frikadellen) und Kartoffelsalat vorbereitet. Mit Schwimmring, Frosch, Fisch, Schäufele und Eimerle bepackt geht es schon früh morgens mit dem Fahrrad los. Ein Auto hat damals nur Herr Meier aus der Dachwohnung. Und das ist immer noch aufgebockt.

Klein-Eugene sitzt beim Vater auf dem Lenkersitz, die Schwester bei der Mama. Ich weiß noch genau, wie das „Sitzerle“, eine Schale aus Blech, aussieht. Mein Vater radelt mit ausgestellten Knien. Ab und zu streift mich etwas sanft.

Wir gehören zu den ersten Besuchern und werden vom Bademeister freundlich begrüßt. Man kennt sich, denn mein Vater ist Rettungsschwimmer bei der DLRG. Auf dem Weg zu den Umkleidekabinen kommt man an einem Trinkbrunnen aus Granit vorbei. Vögel zwitschern, die Morgensonne scheint auf die Holztüren und der verheißungsvollste, wunderbarste Kindheitssommerduft entfaltet sich richtig: Stein, Holz, See, Gras, feuchter Stoff, Gummi, trocknende Feuchtigkeit aus dem Holzrost am Boden, Schweiß, Moder, ein klitzekleiner Hauch von Urin und als krönende Kopfnote gesellt sich Sonnenmilch dazu. Heissa es kann losgehen!


(von rechts nach links: Mama, Klein-Eugene, kleine Schwester)

36 Kommentare zu „Sommer vor 50 Jahren

  1. Ich kann mich nur wundern, dass Sie über Erinnerungen verfügen, die 50 Jahre alt sind. Das passt überhaupt nicht zu den jugendlichen Pinup-Fotos, die sie heute von sich preisgeben:)

    Like

  2. ein Jahr später kurz vor der Komplettierung des drei-Mädel-Hauses.

    Die mit der Mireille Mathieu-Visage bin ich. Ausführender Frisör war mein Vater, wie immer für den Bereich der Zehntel Millimeter zuständig. Und Mode-Schneiderin wie immer meine Frau Mama, für die süße Brut bis spät in die Nacht hinein arbeitend!

    Like

    1. Sehr süß und ein bißchen rebellisch, die kleine Mireille. Die Frisur hatte ich auch. Wollte ich! Wegen Mireille Mathieu! Ich glaube, „Martin“ war mein Lieblinglied. Mir wird jetzt ein wenig sentimental ums Herz. Wegen Martin und der Erinnerung an den Geruch von Sonnenmilch. Delial…

      Like

    2. Zu dieser Zeit wusste ich allerdings noch nichts von Mireille. Wenn ich zurückdenke fallen mir als erstes Kindergartenlieder ein, und Lieder, die mein Vater mit uns sang – z.B. „Wenn alle Brünnlein flie – hi – ßen, so muss man tri – hin – ken…“ 🙂

      Like

  3. liebe ff, d. eimerle steht ihnen gut. smile. schöne kindheitserinnerungen. meine mama ist auf 1 berg aufgewachsen und ging täglich eine stunde zu fuss zur schule, sie lernte nie schwimmen. ich hatte meistens rel. kurze schulgeh-zeiten und lernte schwimmen. das auto kam als ich ca. 10 jahre alt war, ein uralter sunbeam. nachdem meine kindheit eine sehr schöne war, denke ich auch oft an die zeit, wo noch auf einen fernseher gespart wurde und alles einfach nicht selbstverständlich war. sonntagsausflüge, schwimmen gehen, waren immer ein großes erlebnis.

    lg öwk

    ps: danke für die schönen fotos!

    Like

  4. smile, wilkommen im Club. Ist es nicht ein bissel zu früh damit anzufangen? Ich denke gerade darüber nach aufzuhören:-))
    vielleicht scjhreiben Sie ja Folgen, ich verfolge das mal sehr interessiert.

    lieben Gruß

    Mukono

    Like

    1. Nein, nein Talent kommt von Lust. Und wenn Sie Lust zu etwas haben, stellt sich das Talent von selbst ein. Ich habe bloß im Moment keine Lust dazu, und ich werde den Teufel drum bringen mich da zu zwingen :-)). Übrigens die Frage des Gedächtnisses: Wenn Sie sich einmal darauf einlassen, kommen die Erinnerungen von allein, grins, sie sprudeln quasi wie Bergwasser aus den Quellen… allerdings erst im gesetzten Alter eines Mukono :-))

      Like

  5. Liebe Frau Faust! Toller Beitrag!
    Fast kann ich Ihren Kindheitssommer-Strandbad-Tag riechen!
    Ich schreibe „fast“, weil er sich ganz plötzlich mit dem Geruch meiner Kindheitssommer-Schwimmbad-Tage vermischt hat.
    Vielen Dank dafür!

    Like

  6. So gross war der Unterschied zu meinen Sommern dann doch nicht, obwohl vier Paar Jahre dazwischenliegen. Aber damals war die Zeit nicht so schnellebig wie heute, ein Telefon war nach 10 Jahren immer noch nicht unmodern, ein Mobiltelefon heutzutage ist es ja schon nach 6 Monaten.

    Like

  7. Wunderschöner Beitrag, und ein Beweis mehr dafür, dass Erinnerung hauptsächlich über Gerüche gespeichert wird. Sie haben mich mit diesem Beitrag reich beschenkt. Mein Kopfkino lockte mich noch einmal in die hoch am Hang gelegene Umkleidekabine. Sonnenreflexgetragene Wassergerüche, das Holz unter meinen nackten Füßen, die ich später, nass, auf den ausgetretenen Brettern abbilden würde. „Komische Spuren machen“ hieß das Spiel. Der Duft des Kartoffelsalates den man im Einmachglas mitführte, Gartengurken, die Krönung aber: eine Meringe die nach Vanille und Zucker duftete und im Mund die erste Vorbotin der Erkenntnis über die Vergänglichkeit von Form und Größe war.
    Das gemähte Gras, der Duft der geschnittenen Hecken aus Bux (die niederen zum Wasser hin) und der Umgrenzungen aus… ja was? Koniferenzeugs von dem ich den Namen nicht weiß, das aber hauptsächlich für den typischen Geruch sorgte.
    Und dann heim, mit nassen Haaren, in einem scheußlich geblümten Frotteekleid, noch eine Weile mit den Großen Radio hören dürfen.
    Eistee und nur mit dem Leintuch zugedeckt auf die Nacht warten.
    Später duftete der Schwimmbadsommer nach der braunen Haut von Jungs, dann irgendwann gar nicht mehr…

    Like

    1. Das Eis an das ich mich erinnere war eine kleine viereckige Säule in die ein Holzstengerl eingefroren war. Tatsächlich nur Erdbeere Vanille und Schoki. Mein Lieblihngseis war Schoko. Ich saugte oft noch ewig den Restgeschmack aus den Holzporen. Die Stiele sammelte ich dann in meiner Schatzkiste. Man konnte wunderbare Dinge daraus bauen, wenn man einige davon zusammen hatte. Kleine Flöße, Bilderrahmen, ein Gehege für die Kastanienherden im Herbst…

      Like

  8. Delial bräunt ideal Schön, solche Erinnerungen. Und schön, daß Sie sie mit uns teilen und uns die privaten Fotos zeigen! Danke!

    Habe kürzlich „Salbei und Brot – Gerüche der Kindheit“ von
    Heinz Janisch gelesen. In diesem Büchlein haben verschiedene bekannte Personen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz anhand von Geruchserinnerungen aus ihrer Kindheit erzählt.
    Ich hab das Buch aus einer der vielen Kisten gezogen, die sich beim Ausräumen der Wohnung meiner Oma ansammelten und es riecht ganz stark, wenn man die Nase zwischen die Seiten hält. Ein typischer Geruch, den fast alle diese Sachen tragen. Ein bisschen nach Parfum, aber auch undefinierbare andere Noten. Nicht wirklich gut und nicht wirklich schlecht. Interessant und ganz, ganz eigen. Oma eben.
    Ein Blogartikel zu diesem Buch ist schon lange fällig, …

    lg Kinker

    Like

    1. Das Buch klingt sehr interessant, liebe Kinker. Inzwischen ist es wohl rar geworden, denn man muss richtig blechen, wenn man es erwerben möchte.

      Ja, der Geruch bei der Oma. Das alte Stiegenhaus mit den Gemeinschaftstoiletten roch objektiv zwar nicht gut, aber verheißungsvoll, denn der Geruch war mit den seltenen Besuchen verknüpft. Bei meiner Oma hingegen duftete es W U N D E R V O L L: Frisch gemahlener Bohnenkaffee (den gab es bei uns zuhause nie!), Speick-Lavendelseife, Irismilch von Weleda, Zitronenpellargonie, Bretzeln, Soße usw. – herrlich!

      Ich freue mich schon auf Deinen Blogartikel (irgendwie ist mir nach Du bei Dir. : ) ist das ok?)

      Like

    2. Interessant, ich hatte es im Amazonas-Gebiet gar nicht gefunden.
      Der Preis ist ziemlich unverschämt. Jetzt werd ich noch besser darauf aufpassen ,o)

      Bei Oma roch es eigentlich besser. Und anders. Ich glaube, der Geruch, der in den Büchern hängt, hat etwas mit diesem alten gläseren Parfumflakon mit dem rosa umhäkelten Sprühballon aus Gummi zu tun. Das Ding stand auf der Psyche (!) neben einem Foto von meinem Onkel als Baby auf Bärenfell. *kreisch*

      Ja bitte, duzen Sie mich! Ich fühle mich immer ein klitzekleines bisschen komisch, wenn ich gesiezt werde. Aber darf ich beim Sie bleiben? Das passt einfach so gut zu Ihrem Namen.

      Der Artikel wird noch brauchen – Vorurlaubsabarbeiten …

      Schönen Abend!
      lg Kinker

      Like

Hinterlasse einen Kommentar